Ist Dieselverschmutzung eine Menschenrechtsverletzung?

Am 3. September 1953 trat die Europäische Menschenrechtskonvention (MRK) in ihrer Grundfassung in Kraft. Obwohl es lange dauerte bis aus einem eher theoretischen Schriftstück ein integraler Bestandteil der nationalen Rechtsordnungen wurde, so sind heute die meisten Bürger Europas in der Lage die MRK vor nationalen Gerichten zu nutzen, um ihre Anliegen und Rechte durchzusetzen oder sich vor Missbrauch zu schützen.

Artikel 2 der MRK schützt das Leben der Menschen an sich. Das regelt die Gewaltrechte des Staates und von Privatpersonen gegenüber allen Menschen in den Vertragsstaaten. Auch wenn die ursprüngliche Fassung von Artikel 2 noch die selektive Anwendung der Todesstrafe vorsieht, so wurde auch diese Möglichkeit mit dem 6. und dem 13. Zusatzprotokollen abgeschafft.

Zurück zur – für normale Menschen – verständlichen Fassung. Der Staat darf Dich nicht töten und muss Dich auch davor schützen von anderen getötet zu werden. Heute wird das als eine sehr starke Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen interpretiert und gelebt.

Was hat das alles mit LNG zu tun? Mehr als man auf den ersten Blick wahr haben möchte.

Alle europäischen Volkswirtschaften verlassen sich auf Diesel als grundlegenden Treibstoff, um alles in Bewegung zu halten. Einst als Retter der Umwelt und unserer Gesundheit gepriesen hat Diesel sein grünes Image inzwischen eingebüßt und nicht nur das. Es hat sich deutlich ins Negative verkehrt weil man heute weiß, dass Dieselabgase zum giftigsten gehören was man in die Luft blasen kann. Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2012 Dieselabgase als genauso giftig und krebserregend wie Arsen, Senfgas oder Asbest eingestuft.

Nun wird gerne entgegnet, dass genau deswegen die verschiedenen Luftreinhaltegesetze eingeführt wurden, welche Fahrzeughalter dazu verpflichten diese extrem giftigen Abgase zu filtern, damit nicht mehr ganz so viel von diesen Giften in die Umwelt gelangt.

Alles wird aber eben nicht gefiltert – ich denke weil das gar nicht wirklich geht. Das liegt bei gewissen Dingen wie Feinstaub in der Natur der Dinge.

Feinstaub ist eine der giftigsten Substanzen die wir unserem Körper antun können und es ist auch genau dieser Feinstaub der die extrem giftigen Bestandteile der Abgase bildet, welche die Weltgesundheitsorganisation 2012 als extrem krebserregend und giftig eingestuft hat.

Ganz besonders giftig ist dabei der Ultrafeinstaub – das sind Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern. Das ist in etwa so groß wie eine durchschnittliche Bakterie. Die meisten Partikel sind zwischen 0,01 und 0,1 Mikrometer groß und diese sind auch bei weitem die gefährlichsten. Wie Feinstaub genau wirkt erkläre ich in einem anderen Artikel ausfühlicher. Hier sei nur erwähnt, dass ultrafeiner Staub absolut tödlich ist. Er dringt in alle Zellen unseres Körpers ein, weil er so klein ist, er bindet sich an alles im Körper und ist schwer wieder loszuwerden, und er ist beladen mit Chemikalien die auch unser Erbgut verändern.

Dieser ultrafeine Staub wird nicht gefiltert und gelangt auch mit den besten Filtern nahezu ungehindert ins Freie und somit in unsere Lungen, ins Blut, ins Gehirn und alle anderen Organe. Paradoxerweise produzieren die neuesten, sogenannten sauberen Dieselmotoren am allermeisten von den allerschädlichsten Teilchen, was mit der Betriebsart zusammenhängt. Aber auch dazu mehr in einem anderen Artikel.

In Indien ging 2004 der Supreme Court soweit festzustellen, dass diese Verschmutzung ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben ist und hat die indische Regierung damit beauftragt schrittweise aus der Verwendung von Diesel auszusteigen. Das hat aber die letzten Jahre zu einem wahren Gasboom in diesem Land geführt. Hier noch einmal die wichtigste Passage aus der Entscheidung der indischen Höchstrichter:

It was because of the Supreme Court that the right to life and liberty, a fundamental right under Article 21, came to include the right to a healthy environment. As a result, an individual can approach it directly when the public interest is at stake due to environmental harm.

Auch in Kalifornien und in Hongkong haben Gerichte festgestellt, dass die Belastung durch Dieselabgase den Menschen nicht zuzumuten ist, und dass solche Verschmutzung ein eklatanter Verstoß gegen das Recht auf Leben ist. Wie sieht es also hier bei uns in Europa aus?

Nichts dergleichen bis jetzt. Wir haben in der MRK zwar eine der klarsten gesetzlichen Regelungen die alle europäischen Staaten in denen die MRK wirksam ist dazu verpflichtet ihre Bewohner vor körperlichen Schaden zu schützen. Spätestens ab 2012 (Erklärung der WHO) hätte sich etwas tun müssen.

Im Fall L.C.B. gegen das Vereinigte Königreich stellte der Europäische Gerichtshof der Menscherechte (EGMR) fest, dass der Staat verpflichtet ist vermeidbare Lebensgefährdungen zu verhindern und er ist auch verpflichtet sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Tötung durch Rechtsvorschriften zu verbieten, durch seine Behörden Verstöße gegen diese Normen zu verhüten, zu unterbinden und zu bestrafen.

Mit den geltenden Luftreinhaltenormen werden Dieselabgase allerdings nur reguliert – es geht darum was und wieviel davon in die Umwelt geblasen werden darf. Bei CO2 z.B. ist das meiner Meinung nach OK, weil es ja auch nicht das Überleben an sich direkt bedroht. CO2 ist kein Menschengift, sondern nur ein Treibhausgas welches sich in der Atmosphäre auch noch recyclen lässt.

Bei Dieselfeinstaub – der uns selbst in kleinsten Mengen umbringt – muss man die Verschmutzung gänzlich verhindern. Dieses Gift ist selbst in kleinen Mengen tödlich, wovon die etwa 8000 Toten durch Dieselabgase in Österreich (das ist mehr als durch Unfälle) eindrucksvoll bezeugen können.

Einige Länder in Europa nehmen bereits konkrete Schritte. Die Niederlande beispielsweise führt LNG als Treibstoff ein das bekanntlich feinstaubfrei verbrennt. In Norwegen wird es aufgrund der immer öfteren Dieselsperren und Emissionszonen immer schwerer Diesel zu benutzen.

Im Fall Öneryildiz gegen die Türkei befand der EGMR das Recht auf Schutz vor einer Gefahr, die der Staat kennen konnte, als verletzt weil beispielsweise die Behörden von der Gefährlichkeit einer Mülldeponie wussten. Seit 2012 muss klar sein, dass der Staat von der Gefährlichkeit von Dieselabgasen wissen muss. Unwissenheit schützt, aber auch hier nicht prinzipiell vor Strafe. Der Staat muss wissen wozu er sich verpflichtet hat.

Die MRK verpflichtet den Staat geeignete Maßnahmen zu treffen, um uns vor einer tödlichen Gefahr zu schützen. Nur die Menge an Gift zu verringern kann nicht ausreichend sein. Die Gefahr muss gebannt werden. Und die Ausrede, dass es keine Alternative gibt zieht nicht. LNG kann jederzeit einspringen und alles tun was Diesel heute tut. Mit dem Unterschied, dass es sauber und sogar billiger ist. Und das schützt noch ein anderes Menschenrecht – nämlich das Recht auf ein menschenwürdiges Leben nach Art 8 MRK.

Ist Dieselverschmutzung eine Menschenrechtsverletzung?
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